Ich liebe dieses Geräusch, das Rattern der Nähmaschinen.
Es erinnert mich auch an die schöne Zeit meiner Lehre als Bekleidungsgestalterin. Den Handarbeitsunterricht in der Schule mochte ich nicht. Rechnen war mein Lieblingsfach. Mathematik fiel mir leicht, ich war begabt dafür und es machte mir Spass. Jetzt bin ich froh um diese Kompetenz, denn es gibt viel zu berechnen bei der Entwicklung, Gestaltung und Herstellung von textilen Produkten.
In der «Handi» gab es dazumal zu wenig Spielraum für mich und meine Kreativität.
Gleichwohl schnupperte ich später bei einem Couture-Atelier, denn das Nähen hatte es mir angetan und es bestimmte schliesslich meine Berufswahl.
Ich war immer sehr exakt, ich liebte die Genauigkeit. Ich lernte in meinem Lehrbetrieb auf 0,5 Milimeter genau zu nähen mit der Maschine und war zufrieden und stolz, diese Vorgabe bald schon erfüllen zu können. Noch jetzt kann ich meinen Nähverlauf ansehen und mich freuen:
«Wow, diese schöne Kurve!»
Im Couture-Atelier wurde aber auch viel von Hand genäht. Insbesondere die aufwändigen Hochzeitskleider, die bei uns bestellt wurden, erforderten viel Handarbeit. Dank meiner Sorgfalt durfte ich bald schon dazu beitragen. Das war eine Auszeichnung! Der weisse Stoff war delikat, die Nähmaschinen mussten immer erst entölt werden, damit keinerlei Rückstände Spuren hinterliessen.
Ich lernte, mit meiner Spucke das Blut zu entfernen, wenn ich mir in den Finger gestochen hatte.
Die eigene Spucke löst das eigene Blut – aber nur das eigene!
Ich mochte es auch, von Hand zu nähen. Schade, dass diese Fertigkeit verloren geht! Langsam, genau, fast schon perfektionistisch – das sind Eigenschaften, die zu mir gehören und mit der Handarbeit bestens zusammenpassen. Andererseits kann ich auch freudig losrattern und «Gas geben».
Mit der Nähmaschine kann und darf man auch rasen!
Die Hochzeitskleider waren eine schöne Arbeit, gleichzeitig weit weg von meiner Lebensrealität. Ich dachte und denke nicht daran zu heiraten. Auf der ganzen Welt fertigen Näherinnen Kleider an, die sie niemals tragen würden, die sie sich oft auch gar nicht leisten könnten.
Auf der ganzen Welt wird genäht, das Nähen verbindet uns.
Es gibt verschiedene Techniken und Traditionen und es ist bereichernd, diese kennenzulernen. Aber es gibt auch Dinge, die überall gleich gemacht werden, beispielsweise wird auf der ganzen Welt vernäht.
Es braucht nicht viele Worte: Beim Nähen kann man sich einfach zusehen, man muss nicht einmal dieselbe Sprache sprechen. Und man sieht sogar, wie es der Näherin geht, ob sie glücklich oder traurig ist und noch viel mehr. Das Nähhandwerk ist fantastisch.
Ich kann mir damit auch selbst helfen.
Wenn ich mich verändere, mein Leben, meinen Style, meine Figur – dann kann ich meine Kleider anpassen. Das tut gut, das ist selbstermächtigend. Und wie schön ist es, mit den Händen zu arbeiten und zu sehen, was man gemacht hat! Welch ein Erfolgserlebnis!
Bestimmt gibt es ein grosses Bedürfnis danach, aber kaum jemand hat oder nimmt sich die Zeit dazu. Kaum jemand hat die Geduld und die Kapazitäten, das Handwerk zu lernen, viel zu üben und den Frust auszuhalten, wenn man in diesem Prozess immer mal wieder scheitert und von vorn beginnen muss. Das ist schade, denn das Erfolgserlebnis des Gelingens kommt und es macht so viel Freude.
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