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Die Kleider sieht man als Erstes

Autorenbild: Barbara ImoberstegBarbara Imobersteg
Ich stehe früh auf und nehme mir Zeit, meinen Tag zu begrüssen.

Ich trinke Kaffee und hänge ein wenig meinen Gefühlen nach. Wie geht es mir heute und was steht mir bevor? Im Laufe der Jahre habe ich gemerkt, dass die Wahl meines Outfits wichtig ist, um meinen Tag gut zu gestalten und meine Vorhaben umzusetzen. Was brauche ich für diesen Tag und was braucht dieser Tag von mir? Brauche ich etwas Gemütliches und Bequemes, das mich gut einhüllt? Oder brauche ich helle Farben, um mich aufzuheitern? Oder ist heute viel Kreativität gefragt und ich wähle ungewohnte Farbkombinationen, die ich noch nie getragen habe?

Meine Verfassung und meine Vorhaben spiegeln sich in meiner Kleidung wider, die mich den ganzen Tag begleiten werden.

Deshalb lasse ich mir Zeit und entscheide sorgfältig. Bis ich schliesslich aus dem Haus gehe, stimmt alles überein.

Ich nähe gern selbst, um das Material, den Stil und das Muster selbst bestimmen zu können. So bin ich aufgewachsen. In meinem Herkunftsland Estland ist das Nähen sehr verbreitet – bis jetzt.

Früher war es die einzige Möglichkeit, etwas Besonderes oder Individuelles tragen zu können, denn unter der Sowjetunion war der Kleidermarkt sehr eingeschränkt.

Meine ganze Familie näht – das hat mich geprägt. An der Universität bekam das Nähen für mich aber noch eine andere Bedeutung, denn während der intensiven Studienzeit brauchte ich plötzlich einen Ausgleich. Und fand ihn beim Nähen! Ich kaufte mir eine gebrauchte Nähmaschine und legte los.

Nähen war der perfekte Ausgleich zur reinen Kopfarbeit.


Ich mag die verschiedenen Phasen beim Nähen. Zuerst kommt das konzentrierte Planen – Muster und Material bestimmen, alles berechnen und dem eigenen Körper anpassen – und dann kommt das Nähen, das Tun, und man kann seine Gedanken fliessen lassen. Nähen ist Handarbeit – körperliche Arbeit – sie erdet mich und das tut gut.

Aber es gibt noch den anderen Aspekt: Wenn ich für mich nähe, setze ich mich auch mit mir selbst auseinander: mit meinem Aussehen, meinem Körper, meinem Ausdruck und meinem Style.

Wer bin ich, wer möchte ich sein und wie zeige ich mich? Welches Design, welches Muster und welches Material wähle ich? Ich bevorzuge zum Beispiel angenehme, natürliche und atmungsaktive Stoffe.

Das Nähen ist immer auch ein Mittel und ein Weg, sich selbst zu finden.

Das war mir schon als Kind wichtig: meine Kleider und meine Selbstdarstellung. Vielleicht war ich auch ein wenig eitel. Mit meinem Hintergrund in Anthropologie verstehe ich jetzt auch aus wissenschaftlicher Sicht, was das Kleider nähen für die Menschen bedeutet. In fast allen Kulturen wird genäht. Es gibt vielfältige Traditionen und eine unterschiedliche Geschichte, aber überall auf der Welt haben die Kleider mit Herkunft und Identität zu tun. Die Kleider sieht man als Erstes. Wer mag das sein?

Die Kleider geben Auskunft – selbst wenn der Schein trügt.

Über das Thema Migrationsanthropologie bin ich auch zu Social Fabric gekommen und habe meine Tätigkeit als Kommunikationsmanagerin aufgenommen. Hier sah ich erstmals, was es heisst, professionell zu Nähen und ich merkte, wie dilettantisch ich bisher genäht hatte: frisch drauflos, viel Experiment und Improvisation. Professionelles Vorgehen ist etwas ganz Anderes!

Ich begann zu verstehen und meine Ansprüche stiegen.

Nun dauerte es allerdings viel länger, bis ich meine Nähprojekte realisiert hatte. Aber die gute Infrastruktur und Ausrüstung nutzen zu können, und allein den grosszügigen Platz zur Verfügung zu haben, war wunderbar und wirkte sich sehr positiv aus. Mit dem lockeren Ausgleich zu meiner beruflichen Arbeit war es nun aber vorbei, denn bei Social Fabric realisierte ich, wie man richtig und gut näht, und seither setze ich höhere Massstäbe an. Das ist herausfordernd und braucht mehr Zeit und Aufmerksamkeit. Aber es lohnt sich.

Und wenn es gelingt und zum Schluss alles passt, dann bin ich glücklich und behalte das Kleidungsstück mein Leben lang.

Die Kommunikations- und Marketing-Managerin Mari Kuuse im Gespräch mit Barbara Imobersteg; Teil der Serie „Gespräche über das Nähen“.


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